Was ist ein Angriffskrieg?

Definition und Grundlagen

Ein Angriffskrieg bezeichnet die Anwendung von Gewalt durch einen Staat oder mehrere Staaten gegen einen anderen Staat, ohne dass der Angreifer zuvor selbst angegriffen wurde, ein solcher Angriff unmittelbar bevorstand oder der angegriffene Staat dem Angreifer den Krieg erklärt hatte1. Aus der Perspektive des angegriffenen Staates handelt es sich dabei um einen Verteidigungskrieg12. Im modernen Völkerrecht ist ein Angriffskrieg grundsätzlich verboten13.

Die Definition eines Angriffskrieges umfasst die Festlegung eines Angreifers, wobei die Anwendung von Waffengewalt gegen die Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates gerichtet ist45. Diese Handlung stellt eine Verletzung der Charta der Vereinten Nationen dar67.

Historische Entwicklung des Verbots von Angriffskriegen

Briand-Kellogg-Pakt

Bis zum Ersten Weltkrieg besaß jeder souveräne Staat das freie Kriegsführungsrecht und durfte nach eigenem Ermessen Krieg führen8. Durch den 1919 gegründeten Völkerbund wurde dieses Recht lediglich eingeschränkt, ein aus nationalen Interessen geführter Angriffskrieg galt weiterhin als nicht völkerrechtswidrig89.

Der entscheidende Wendepunkt kam mit dem Briand-Kellogg-Pakt, der am 27. August 1928 in Paris von zunächst 15 Staaten unterzeichnet wurde109. In diesem völkerrechtlichen Vertrag verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, auf den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle zu verzichten811. Bis 1939 waren mehr als 60 Staaten dem Vertrag beigetreten9. Der Pakt legte den Grundstein für die völkerrechtliche Ächtung des Krieges, definierte jedoch den Begriff "Angriffskrieg" nicht präzise1213.

UN-Charta und modernes Völkerrecht

Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf die Charta der Vereinten Nationen 1945 eine neue völkerrechtliche Grundlage für das Gewaltverbot6. Artikel 2 Ziffer 4 der UN-Charta untersagt den Mitgliedstaaten grundsätzlich jede Androhung oder Anwendung von Gewalt in ihren internationalen Beziehungen67. Dieses umfassende Gewaltverbot entwickelte sich zum tragenden Grundpfeiler der Vereinten Nationen und der gesamten internationalen Ordnung6.

Die UN-Generalversammlung verabschiedete 1974 eine Resolution, die eine ausführliche Definition der Aggression enthält und auf eine Konkretisierung des Art. 39 der UN-Charta abzielt4. Diese Resolution ist heute Ausdruck geltenden Völkergewohnheitsrechts4.

Merkmale eines Angriffskrieges

Gemäß internationalen Definitionen, insbesondere der Resolution der UN-Generalversammlung von 1974 und dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, gelten folgende Handlungen als Angriffshandlungen514:

1. Die Invasion oder der Angriff der Streitkräfte eines Staates auf das Hoheitsgebiet eines anderen Staates oder jede militärische Besetzung54

2. Die Bombardierung oder Beschießung des Hoheitsgebiets eines Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates45

3. Die Blockade der Häfen oder Küsten eines Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates45

4. Jede andere mit der UN-Charta unvereinbare Anwendung von Waffengewalt514

Ein Angriffskrieg setzt die Involvierung von mindestens zwei Staaten voraus, was aus verfassungsrechtlicher Sicht durch die Verwendung des Begriffs "Krieg" unterstrichen wird4.

Abgrenzung zu anderen Kriegsformen

Verteidigungskrieg

Im Gegensatz zum Angriffskrieg ist ein Verteidigungskrieg ein Krieg, den ein überfallenes Land zum Zweck der Abwehr und Zurückdrängung gegen eine fremde Macht führt2. Im Völkerrecht gilt der Verteidigungskrieg seit der Ächtung von Angriffskriegen durch den Briand-Kellogg-Pakt 1929 als der einzige gerechte Krieg, den ein Land führen kann2. Ein Verteidigungskrieg kann individuell oder kollektiv im Rahmen von Bündnispflichten geführt werden2.

Präventivkrieg

Ein Präventivkrieg oder Präventivschlag ist ein militärischer Angriff, der einem angeblich oder tatsächlich drohenden Angriff eines Gegners zuvorkommen und diesen vereiteln soll, also eine Offensive in defensiver Absicht15. Die Abgrenzung zum Angriffskrieg ist oft umstritten, da Angriffskriege bisweilen propagandistisch als Präventivkriege ausgegeben wurden1516.

Das Kriegsrecht erlaubt einen Präventivkrieg nur, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht16. Die Abgrenzung zu einem Angriffskrieg ist dabei aber nicht immer klar1615.

Rechtliche Konsequenzen

Internationales Strafrecht

Das Verbrechen der Aggression ist ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht und fällt in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)14. Gemäß Artikel 8bis des Römischen Statuts des IStGH, der 2010 auf der Überprüfungskonferenz in Kampala angenommen wurde, sind drei Elemente erforderlich5:

1. Der Täter muss ein politischer oder militärischer Führer sein, also eine "Person in einer Position, die tatsächlich die Kontrolle über oder die Lenkung der politischen oder militärischen Handlungen eines Staates ausüben kann"5

2. Der Täter muss an der Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer staatlichen Angriffshandlung beteiligt gewesen sein5

3. Eine solche staatliche Handlung muss eine Angriffshandlung gemäß der Definition in der Resolution 3314 der Generalversammlung darstellen und aufgrund ihres Charakters, ihrer Schwere und ihres Ausmaßes eine offenkundige Verletzung der UN-Charta darstellen5

Die Zuständigkeit des IStGH für das Verbrechen der Aggression wurde am 17. Juli 2018 aktiviert17.

Nationales Recht in Deutschland

In Deutschland ist die Vorbereitung eines Angriffskrieges grundsätzlich verboten und unter Strafe zu stellen, wie im Grundgesetz (GG) Artikel 26 festgelegt318. Seit dem 1. Januar 2017 ist der Tatbestand des Verbrechens der Aggression in § 13 des Völkerstrafgesetzbuches geregelt, der den früheren § 80 StGB (Vorbereitung eines Angriffskrieges) ersetzte1419.

Gemäß § 13 VStGB wird, wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft19. Auch die Planung, Vorbereitung oder Einleitung eines solchen Angriffskrieges ist strafbar19.

Historische Beispiele für Angriffskriege

In der Geschichte gab es zahlreiche Angriffskriege, bei denen Machthaber oft kreative Gründe für eine Invasion in fremdes Staatsgebiet fanden20. Einige Beispiele:

• Der Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939, der den Zweiten Weltkrieg auslöste. Hitler rechtfertigte diesen Angriffskrieg mit der Lüge, Polen habe den deutschen Sender Gleiwitz überfallen2021.

• Der Irakkrieg (Dritter Golfkrieg) 2003, bei dem die USA behaupteten, der irakische Diktator Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Diese wurden nach dem Angriff nicht gefunden, und die vorgelegten Beweise waren gefälscht2015.

• Der russische Überfall auf die Ukraine 2022, der laut russischer Propaganda unter anderem als Präventivschlag dargestellt wurde, um einem angeblichen Angriff der Ukraine zuvorzukommen15.

Diese Beispiele zeigen, wie Angriffskriege oft mit vorgeschobenen oder fingierten Vorfällen gerechtfertigt wurden, obwohl sie nach modernem Völkerrecht eindeutig verboten sind2015.